Linguistique de l’écrit

Revue internationale en libre accès

Livre | Chapitre

198731

Die Ferdinand Tönnies-Edition

Rolf Fechner

pp. 191-194

Résumé

Vom Werk des Klassikers und Begründers der deutschen Soziologie, Ferdinand Tönnies (1855 – 1936), sind im Buchhandel gegenwärtig nur noch wenige Titel greifbar.1 Dieser mangelnden Verfügbarkeit stehen eine zunehmende Rückbesinnung und ein zunehmendes Interesse an Tönnies gegenüber, das durch wissenschaftliche Arbeiten und Symposien dokumentiert wird.2 Durch Tönnies' exponierte Stellung in der Geschichte der Soziologie und seine langwährende Präsidentenschaft in der Deutschen Gesellschaft für Soziologie ist an seine Person auch besonders eng die Entwicklung der Soziologie zum Status einer Einzelwissenschaft geknüpft. Abgesehen von diesen Bezügen enthält sein Werk aber auch eine durchlaufende Deutung der Zeitgeschichte mit ihren politischen und sozialen Zäsuren zum Ende des 19. und zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Seine Kritik des Nationalliberalismus als Verfallssymptom der politischen Kultur des Bürgertums, seine Opposition gegen die Reaktionspolitik seit der sogenannten konservativen Neugründung des deutschen Reiches im Gefolge der ‚Großen Depression" von 1873, aber auch sein persönlicher Konflikt mit der preußischen Kulturbehörde, der sich insbesondere aus seiner Mitgliedschaft in der linksliberalen ‚Gesellschaft für ethische Kultur" ergab und durch seine sozialstatistischen Untersuchungen zum Hamburger Hafenstreik von 1896/97 sich verschärfte, werfen Schlaglichter auf die geistige und politische Situation seiner Zeit. Seine rege publizistische Kommentierung des 1. Weltkrieges, seine Äußerungen zu den Besonderheiten des preußischdeutschen Reiches, zur Aufbauphase der Weimarer Republik und zu den späteren Krisenzeiten, stellen nicht nur wichtige Punkte für eine TönniesInterpretation dar, sie sind auch Belege für eine frühe Phase der modernen Soziologie in Deutschland, die neben Max Weber und Georg Sinunel gerade von dem älteren Tönnies repräsentiert wird, und die oft in einem diffusen Licht der Mißverständnisse verschwimmt; sie sind aber auch Belege für den intellektuellen, sozialen und politischen Zustand einer ganzen Epoche.

Détails de la publication

Publié dans:

Klingemann Carsten, Neumann Michael, Rehberg Karl-Siegbert, Srubar Ilja (1994) Jahrbuch für Soziologiegeschichte 1992. Wiesbaden, Verlag für Sozialwissenschaften.

Pages: 191-194

DOI: 10.1007/978-3-322-96047-4_7

Citation complète:

Fechner Rolf, 1994, Die Ferdinand Tönnies-Edition. In C. Klingemann, M. Neumann, K.-S. Rehberg & I. Srubar (Hrsg.) Jahrbuch für Soziologiegeschichte 1992 (191-194). Wiesbaden, Verlag für Sozialwissenschaften.